Aus der Provinz
Wir treffen uns in ihrem Zimmer, von dem man den schönsten Ausblick in ganz Rottenbuch hat. Sr. Gertrud sitzt rücklings auf ihrem Rollator, damit ich auf dem Stuhl sitzen und bequem mitschreiben kann. Auch wenn das Gehen für sie mittlerweile sehr mühsam geworden ist, so ist ihr Geist doch wach und offen.
Sr. Gertrud ist im November 1928 geboren und in Benediktbeuern groß geworden. So erübrigt sich die erste Frage fast, in der es darum geht, wie sie die Schwestern kennengelernt hat.
„1940 sind die Schwestern nach Benediktbeuern gekommen und haben ziemlich bald eine Nähschule eröffnet, die ich gerne besucht habe. Es hat mir gleich gefallen und ich bin oft noch geblieben, um den Schwestern freiwillig im Bügelzimmer zu helfen. Ich gebe zu, ein kleiner Anreiz war auch, dass wir etwas zu essen bekamen. Wir hatten zu Hause nicht viel und manchmal blieb daheim der Tisch leer.“ Sr. Gertrud lächelt: „Aber das war nicht der erste Grund. Besonders gemocht habe ich Sr. Sybilla Mozin, die immer so begeistert vom Leben in der Mission erzählte. Das hat mich fasziniert!“
Mit 17 Jahren entschließt sich Sr. Gertrud, den Schritt ins Ordensleben zu wagen. Ich frage sie, ob es ihr jetzt im Rückblick nicht manchmal leidtut, so früh eingetreten zu sein. Sie überlegt ein wenig und sagt dann ganz ehrlich: „Ja, manchmal denke ich, es wäre besser gewesen, noch ein wenig zu warten. Ich war jung und eigentlich noch unreif. Was kannte ich schon von der Welt. Vielleicht hätte ich ein paar Jahre später manches besser verstanden.“ Und mit einem Lächeln fügt sie hinzu: „Und ich hätte dann auch noch etliche Male zum Tanzen gehen können.“ Aber trotz allem ist sie im Frieden mit dieser Entscheidung. „Ich habe einfach vertraut, dass Gott mir den richtigen Weg zeigt.“
Sr. Gertrud hat die Ausbildung zur Erzieherin gemacht und war fast 40 Jahre in diesem Beruf tätig. „Ich habe vor allem die Herbstzeit geliebt. Die Kinder waren in dieser Zeit viel innerlicher und ganz dabei.“
Ich frage sie, was denn in dieser doch anstrengenden Tätigkeit für sie ein Ausgleich gewesen ist. Die Antwort kommt ohne Zögern: „Die Natur und vor allem die Berge. An den Wochenenden haben wir Bergtouren gemacht, und in der Natur wurden viele Probleme kleiner. Ich zehre eigentlich noch heute davon.“ Und verschmitzt erzählt sie auch von einer gemeinschaftsinternen Absprache: „Unsere Oberin hat uns von Herzen die Bergtouren gegönnt, aber wir mussten um 17 Uhr daheim sein. Dann konnte nämlich sie ihr Entspannungsprogramm zum Wochenende antreten: Fußball schauen. Und so waren wir alle zufrieden.“
Seit 1950 befinden sich die Don Bosco Schwestern in Rottenbuch. Ehemals Ausbildungsstätte der Novizinnen und ein anerkanntes Bildungszentrum für Kinder und Jugendliche, verbringen heute unsere älteren Schwestern hier einen schönen Lebensabend. Sie freuen sich über das Lachen, das aus unserem „Don Bosco Haus für Kinder“ zu ihnen hinüberdringt.
Zur Gemeinschaft in Rottenbuch >
Nachdem sie in den Ruhestand gegangen war, stand ihre Gemeinschaft in Benediktbeuern vor einem Problem. Es fehlte plötzlich eine Köchin für die Jugendherberge, in der oft mehr als 100 Kinder verköstigt werden mussten. „Die Not war groß und ich wurde gefragt, ob ich diese Aufgabe übernehmen würde. Warum nicht? Nein, ich habe keine Angst gehabt und einfach das Kochbuch genommen und es versucht. Und es hat mir Freude gemacht.“
Fühlt sie sich nach 75 Jahren im Orden als Expertin in Sachen geistliches Leben? „Nein, ich fühle mich eher als Lernende. Darum mag ich auch geistliche Vorbilder, die nicht so ganz abgehoben sind. Ich mag die einfachen und bodenständigen Heiligen, die ebenso gekämpft haben wie ich und von denen ich lernen kann.“
Besonders nah steht ihr der hl. Franziskus – wegen seiner Liebe zur Schöpfung. „In der Natur begegne ich Gott in besonderer Weise. Auch wenn ich kaum noch nach draußen komme, so genieße ich jeden Morgen den Blick aus meinem Fenster, wenn die Sonne über den Bergen aufgeht und ich dies bewusst erleben kann.“
Zum Schluss frage ich Sr. Gertrud, ob sie denn einen Wunsch zum Jubiläum habe. Auf die Schnelle fällt ihr nichts ein und so verabschiede ich mich von ihr. Eine Stunde später – als ich wieder nach München fahren will – finde ich auf meiner Tasche einen kleinen Zettel: „… auf einen Berg zu fahren. Es gibt Bergbahnen, in die man auch mit Rollstuhl kann. Vielleicht … das wäre schön!“ Ich nehme den Zettel mit nach München. Wer weiß …!
Profess- oder Ordensjubiläen werden ähnlich wie Hochzeitsjubiläen gezählt:
25 Jahre - Silberjubiläum
40 jähre - Rubinjubiläum
50 Jahre - Goldjubiläum
60 Jahre - Diamantjubiläum
65 Jahre - Eisernes Jubiläum
70 Jahre - Gnadenjubiläum
75 Jahre - Kronjuwelenjubiläum